Lerntheorien

Bildung flexibel

und welche Erkenntnisse kann man daraus für die Praxis des Corporate Learning ziehen?

Es ist davon auszugehen, dass die zunehmende Komplexität und Dynamik betrieblicher Herausforderungen dazu führen wird, dass computergestütztes, kollaboratives Arbeiten und Lernen zur wichtigsten Handlungsform in Unternehmen werden. Der betriebliche Bildungsbereich, das Corporate Learning, erhält damit die Aufgabe, Lernsysteme zu entwickeln und Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Mitarbeitenden und Führungskräften ermöglichen, ihre individuellen Werte- und Kompetenzentwicklungsprozesse optimal selbstorganisiert zu gestalten.

Jeder Mensch ist einzigartig. Dies gilt auch für das Lernen. 

Wir müssen uns deswegen bei der Erklärung und Gestaltung von Lernvorgängen vor allem auf die Erkenntnisse der Pädagogik und der Entwicklungspsychologie konzentrieren. Analysiert man die Pädagogik der aktuellen betrieblichen Bildung, zeigt es sich, dass dort heute im wesentlichen Elemente aus vier Lerntheorien eine Rolle spielen.

Behaviorismus

Behaviorismus ist eine ältere Lerntheorie, die den Lernenden als eine „blackbox“ betrachtet. Das Verhalten der Menschen wird danach vor allem durch die Konsequenzen bestimmt, die sein Verhalten erzeugen. Positive Konsequenzen wirken verstärkend, negative Konsequenzen führen zu einer Reduktion eines zuvor gelernten Verhaltens. Behaviorismus geht von einem Lehrmodell aus, nach dem befähigte, wissende Personen noch nicht befähigte, nicht wisssende Personen zu einem bestimmten Verhalten bringen. In diesem Ansatz steht der Lehrende im Mittelpunkt, der über objektiv richtiges Wissen verfügt, das er möglichst vereinfacht darstellt. Die Lernenden sind tendenziell eher passiv.

Kognitivismus

Die Lerntheorie des Kognitivismus beschreibt Lernen als einen Prozess des aktiven Wahrnehmens, Erfahrens und Erlebens. Dabei wird neues Wissen auf der Basis bestehender Wissensstrukturen gebildet, indem das Gehirn, ähnlich wie ein Computer, Wissen aufnimmt und verarbeitet. Das Wissen ist danach losgelöst von den jeweiligen Lernern. Lernen erfolgt dabei durch Einsicht. Der Lernende nimmt im Lernprozesse eine aktive Rolle ein, indem er vorgegebene Aufgaben löst. Der Lehrende initiiert, steuert und flankiert die Lernprozesse, stellt aufbereitetes Lernmaterial zur Verfügung und gibt seinen Lernenden laufend Feedback.

Prinzipiell sind die Erkenntnisse zu Behaviorismus und Kognitivismus auch heute noch gültig. Sie können jedoch den dynamischen Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft nicht mehr gerecht werden, da sie auf der falschen Annahme basieren, dass die Lernenden mit dem aktuellen Wissen auf die heute noch nicht bekannten Herausforderungen in der Zukunft vorbereitet werden können und Lernen vor allem durch äußere Einflüsse erfolgt.

Zukünftig gewinnt die Fähigkeit zum Lernen in komplexen, weniger vorhersehbaren und schnell veränderlichen Kontexten einen drastischen Bedeutungszuwachs. 

Dies führt dazu, dass Arbeiten und Lernen immer agiler konzipiert und umgesetzt wird und die Lernenden zeitlich und inhaltlich viel näher am Arbeitskontext lernen. Deshalb müssen sie sich immer stärker vernetzen, um sich bedarfsgerecht weiter zu entwickeln.

Dies führt zu einer deutlichen Zunahme von Lernformaten wie BarcampsWorking out Loud oder Design Thinking. Lernen findet hier stets im Wechselspiel mit anderen Personen statt. Gleichzeitig wird das selbstorgansierte Lernen immer mehr durch digitale Lernunterstützung, zunehmend auch KI-basiert, ermöglicht.

Konstruktivismus

Nach der Lerntheorie des Konstruktivismus ist Lernen ein aktiver, situativer und sozialer Prozess, bei dem das Wissen in jeder Situation selbstgesteuert interpretiert und neu konstruiert wird, so dass die Handlungsweisen durch die jeweilige Situation bestimmt werden. Deshalb ist die zentrale Frage in diesem Lernmodell, wie die Lernenden zu einer eigenständigen Identifikation und Lösung von Problemen geführt werden können. Für den Konstruktivismus bedeuten die aktuellen Veränderungen, dass Lernen zukünftig nicht nur durch eigene Erfahrung, sondern auch die konsequente Nutzung fremder Erfahrungen erfolgen sollte.

Konnektivismus

Nach pragmatischen Ansatz des Konnektivismus von George Siemens verbessern Lernende ihr eigenes Lernen exponentiell, wenn sie sich in Netzwerke einbinden. Die Fähigkeit, aktuelles Wissen zu erlangen wird wichtiger, als das persönliche Wissen einer Person. Deshalb erfolgt Lernen in Netzwerken („learning as a network creation“). Konnektivismus geht davon aus, dass es nicht genügt, nur von eigenen Erfahrungen zu lernen. Die traditionellen Lerntheorien betrachten vordergründig den Lernprozess im engeren Sinne und vernachlässigen dabei, dass die Lernenden die Meta-Kompetenz zur Netzwerkbildung benötigen. Diese grundlegende Fähigkeit besteht darin, relevantes Wissen für den Lernprozess zu identifizieren, zu bewerten, zu beschreiben und in einem gemeinsamen Prozess mit Lernpartner*innen weiterzuentwickeln.

Der „neue Konnektivismus“ zeichnet sich dadurch aus, dass Lernen entsprechend der Entwicklung der Arbeitswelt agiler wird. Die Konsequenz aus zunehmend agilem und damit konnektivistischem Lernen ist eine neue Lernkultur, die durch Selbstorganisation, kollaboratives Arbeiten und Lernen und der deutlich steigenden Geschwindigkeit des Lernens geprägt ist.

Grundsätzlich bleibt das Modell der Lerntheorien erhalten, es integriert in den veränderten Ausprägungen jedoch die neu entwickelten und genutzten Methoden, Instrumente und Handlungsweisen sowie Haltungen des selbstorganisierten, kollaborativen Lernens.

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